NOTES #9
Last, Volllast, Überlast?
Das Hybridkraftwerk Odervorland läutet eine neue Phase im Ausbau der erneuerbaren Energien ein.
Eigentlich eine klare Sache: Wenn Wind- oder Solarparks ans Netz wollen, brauchen sie einen geeigneten Netzverknüpfungspunkt. In der Regel heißt das, ein Umspannwerk muss her. Am liebsten soll es in der Nähe und schon gebaut sein. Außerdem soll es Einspeisekapazität haben – das macht das Leben leichter. Soll heißen, für Windparks mit einer Leistung von, sagen wir, 50 Megawatt muss ein Umspannwerk her, das auf der Nehmerund Einspeiserseite 50 Megawatt vertragen kann. Ähnliches gilt für Solarparks oder andere stromerzeugende Anlagen. Die Kosten dafür sind enorm. Für ein Umspannwerk sind schnell 2,5 Millionen Euro ausgegeben, was alles den Projekten zur Last fällt und die Wirtschaftlichkeit weiter einschränkt – neben den neuen Regelungen wie die zu negativen Strompreisen oder Jahresmarktwerten, die Unwägbarkeiten in die Erlöse bringen werden.
Druck von den Projekten zu nehmen, soll heißen Kosten zu senken, ist also dringendes Ziel, wenn’s denn mit der Energiewende vorangehen soll. Hinzu kommt, dass der Aufbau neuer Infrastruktur Ressourcen wie Kapital, Personal, Rohstoffe und vor allem Zeit bindet. Rohstoffe und Energie, die notwendig werden, heißt, dass die Klimabilanz auch für erneuerbare Energien verschlechtert wird.
Zeit als kritischer Faktor
Angesichts der Szenarien, die Klimaforscher entwerfen, ist Zeit zudem ein kritischer Faktor. Um die Erderwärmung zu mindern und zugleich die Artenvielfalt und andere Umweltressourcen zu erhalten, muss schnell gehandelt werden. Dabei ist der Aufbau einer klimaneutralen Energieerzeugung gerade für eine Industrienation wie die Bundesrepublik von großer Bedeutung. Sie aktiv anzugehen, ist – gegen eine Reihe von politisch konservativen Stimmen – nicht ideologisch motiviert, sondern folgt einer streng rationalen Ableitung aus den teils katastrophalen Klimaszenarien.
Keine Frage, auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind oft thesenhaft und müssen diskussionsfähig bleiben – da ist die Bewegung Fridays for Future zum Beispiel zu wissenschaftsgläubig. Aber wenn Erkenntnisse wie die von Klimaforschenden methodisch sauber sind und in einer kritischen Diskussion Bestand haben, dann können sie auch zur Grundlage politischen Handelns werden oder die Basis bilden für den Ausbau der Erneuerbaren. Immer wieder reflektiert und immer wieder auf dem Prüfstand.
Kombinieren
Für dieses Ziel wird die Kombination verschiedener erneuerbarer Energien mit einer intelligenten Steuerung von Produktion und Verbrauch sowie einer fortgeschrittenen Speichertechnologie schon länger diskutiert. Projekte und Ideen gibt es dazu zuhauf. Aber deren Umsetzung wird durch fehlende wirtschaftliche Rahmenbedingungen immer noch behindert, wenn nicht gar verhindert. Keine Frage, die Speichertechnologien wären heute schon viel weiter, wenn sie früher und konsequenter gefördert worden wären – ganz unideologisch auch von einer schwarzroten Regierung zum Beispiel. Aber jetzt ist die Zeit offensichtlich für solche Förderansätze besser, und jetzt geht’s unerhört schnell voran.
Hybrid- oder sogar Kombikraftwerke sind also in vielerlei Hinsicht noch Zukunft. Produktions- und Speichereinheiten werden mit einer intelligenten und flexiblen, zugleich bedarfsgerechten Steuerung kombiniert. Die Netzsicherheit eingeschlossen.
Vieles steckt noch in den Kinderschuhen. Aber es gibt einen Ansatz, der nunmehr vom REZ-Kunden MLK mit dem Hybridkraftwerk Odervorland verfolgt wird und der jetzt schon erfolgreich umgesetzt werden kann. Dabei spielen teure Speichertechnologien noch keine Rolle. Stattdessen nutzen die MLK-Projektierer einen Umstand, der den Projekten einerseits große Sorgen bereitet: Der rasche Ausbau von Wind- und Solarenergie in Kombination mit neuen Vergütungsregeln im EEG führt zum massiven Anstieg von negativen Strompreisen. Lagen die Quoten für Projekte, die Mitte der Zehnerjahre errichtet wurden und erstmalig von Einschränkungen bei der Vergütung von Phasen negativer Strompreise betroffen waren, noch bei rund 1 Prozent, sind sie in den vergangenen ein, zwei Jahren, ja Monaten massiv angestiegen. Da zudem an die Stelle der 4-Stunden-Regel für neue Projekte die Einstunden-Regel getreten ist, müssen höhere Einnahmeverluste hingenommen werden.
Neue Konzepte, jetzt
Andererseits eröffnet der parallele Ausbau der beiden Energiearten neue Optionen für die effiziente und damit wirtschaftlich attraktive Nutzung der energetischen Infrastruktur. Soll heißen: Die Einspeisekapazität von Umspannwerken kann durch die Kombination von Solar- und Windparks am selben Netzverknüpfungspunkt deutlich überbaut werden. Dabei werden die gegenläufigen Einspeisenormkurven genutzt. Soll heißen: Wenn Windparks einspeisen, vor allem also vom Herbst bis Frühjahr, ist die Einspeisung von Solarparks vernachlässigbar und umgekehrt. Wenn Solarparks Strom produzieren, also vor allem von Frühjahr bis Herbst, haben Windparks ihre ertragsschwachen Phasen. Was der Windenergie ihre Badewannenkurve ist, erlebt die Sonnenenergie zeitlich versetzt, also ganz anders und entgegengesetzt.
Sobald die installierte Leistung in ihrer Einspeisung halbwegs homogen ist, führt das zu einer beinahe ausgeglichenen Einspeisung über das gesamte Jahr mit Spitzen jeweils im Winter und Sommer sowie einer Überschneidung im Frühjahr und Herbst. Die Phasen also, in denen eine Überlast am Netzverknüpfungspunkt entstehen kann, sind selten, können aber von einer übergeordneten Einspeiseregelung gesteuert werden – analog zu den Abregelungen durch Direktvermarkter oder Netzbetreiber. Nur steht in diesem Fall nicht die Netzsicherheit im Vordergrund, sondern der Zwang, eine Überlast in der Infrastruktur – hier am Umspannwerk – zu verhindern.
Das Hybridkraftwerk Odervorland
Das MLK-Projekt, das von der REZ begleitet wurde, greift auf zwei bereits bestehende Umspannwerke vor Ort zurück. Beide haben eine Aufnahmeleistung von 63 MVA; die Gesamtkapazität beläuft sich mithin auf insgesamt 126 MVA – oder auf 126 MW Gesamtleistung, die eingespeist werden kann. Beide Umspannwerke sind zu größeren Teilen von bestehenden Windparks in Anspruch genommen. Am Umspannwerk Jacobsdorf, das seit etwa zehn Jahren betrieben wird, sind 16 Windenergieanlagen verschiedener Leistungsklassen mit einer Gesamtleistung von rund 52 Megawatt angeschlossen. Über das Umspannwerk Sieversdorf, das seit 2023 in Betrieb ist, speisen sieben Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von knapp 40 Megawatt ein. Bleibt also als freie Anschlusskapazität, wenn’s so bleibt wie gewohnt, einmal 11 und einmal 23 Megawatt. Hier ginge also was, wenn auch nicht viel.
Nun hat die MLK in etwa 20 km Entfernung zu den Windparks und Umspannwerken eine Flächensolaranlage mit einer Leistung von 73 Megawatt im Bau. Die Inbetriebnahme ist für diesen Herbst geplant und wird in Stufen durchgeführt. Insgesamt 54 Megawatt werden nun an die beiden Umspannwerke angeschlossen. Eine Leitung mit 18 Megawatt ans Umspannwerk Jacobsdorf, zwei Leitungen mit je 18 Megawatt Leistung ans Umspannwerk Sieversdorf. Beide Umspannwerke sind also in diesem Moment leistungsseitig überbaut. Das eine mit 7 Megawatt, das andere mit 13 Megawatt.
Das ist bereits bei Anlagen, die dieselbe erneuerbare Ressource nutzen, möglich, solange die Nennleistung der Anlagen nicht erreicht wird. Sobald die Gesamteinspeiseleistung erreicht wird, muss abgeregelt werden. Allerdings bleiben die jahreszeitlichen Schwankungen der Ressourcen, also bei Wind das generelle Hoch im Winter und das Tief im Sommer. Bei Sonne eben umgekehrt.
Die gegenläufigen Einspeisekurven von Solar- und Windenergieanlagen bieten sich dazu an, beide Ressourcen zu kombinieren. Und genau das geschieht künftig im Hybridkraftwerk Odervorland. Der Solarpark Georgenthal wird parallel zu den Windparks im Eignungsgebiet Jacobsdorf einspeisen. In der Regel wird eine Steuerung der Einspeisung nicht notwendig sein. Nur in den Übergangszeiten ist mit Phasen zu rechnen, in denen die Gesamteinspeiseleistung der Umspannwerke überschritten werden könnte. Ein im Ganzen beherrschbares Problem.
Allerdings ist ein solches Konzept für die Netzbetreiber neu und ungewohnt. Das führt dazu, dass sie sich schwer mit der Kombination beider Energiearten tun. Allerdings nicht, weil sie Stromquellen ausdifferenzieren müssen, sondern weil sie für das Thema Netzsicherheit jeweils den sogenannten Leistungsträger kennen wollen. Mit anderen Worten, sie wollen wissen, welchen Einspeiser sie vorrangig abregeln können, um möglichst präzise die Netzspannung sicherstellen zu können. Da sie auf die einzelnen Erzeugungseinheiten zugreifen und nicht auf das Umspannwerk, wollen sie also die jeweilige zu erwartende Leistung im Vorfeld kennen und vor allem die Betreiber dazu verpflichten, möglicherweise fehlende Kapazitäten auf keinen Fall durch die jeweils andere Energieressource zu kompensieren. Die Betreiber sollen durch ihre Vermarkter am Vortag Fahrpläne für jede Ressource abgeben und dann dabei bleiben.
Das aber entspricht nicht dem Interesse der Betreiber, die ihr Geld ja damit verdienen, Strom einzuspeisen, und eh mit ihren volatilen Ressourcen zu kämpfen haben. Wenn sie also Strom produzieren, wollen sie auch einspeisen und nicht auch noch die Einspeisung künstlich verknappen.
Und weiter geht’s
Die Interessenlagen sind also verschieden, aber wie immer wird es am Ende ein für beide Seiten tragbares Konzept geben müssen, denn das Hybridkraftwerk Odervorland mag das erste seiner Art in Ostbrandenburg sein. Es bleibt aber keine Ausnahme.
Zum einen ist nicht auszuschließen, dass die Solarleistung, die an die beiden Umspannwerke angeschlossen wird, weiter steigt. Das würde die Regelungsanforderungen an die Betreiber und das Umspannwerk weiter erhöhen. Und weitere Projekte werden folgen, schon aus Kostengründen. Allein im Umfeld von Jacobsdorf bei Frankfurt/Oder sind derzeit 134 Megawatt Wind im Bestand der MLK. Weitere 100 Megawatt Windstrom sind im Bestand anderer Unternehmen. Zugleich sind aber – Stand heute – in der Umgebung weitere 65 Megawatt Windstrom geplant. Darüber hinaus sind neben den 73 Megawatt Solarstrom, die die MLK derzeit umsetzt, weitere 270 Megawatt Solarstrom geplant.
Um diese Leistung einspeisen zu können, sind Lösungen gefragt, die schlank umgesetzt werden können, wirtschaftlich interessant sind und technisch zugleich unbedenklich. Kommen dann noch Speichertechnologien oder Umwandlungstechnologien hinzu, kann das Hybridkraftwerk nach und nach zu einem umfassenden Kombikraftwerk ausgebaut werden.
Die Energiewende nimmt also Fahrt auf im Osten der Republik.