Zeitenwende für Windparkbetreiber

Der folgende Beitrag von REZ-Geschäftsführer Prof. Dr. Walter Delabar ist im BWE BetreiberBrief, Ausgabe 3/2023 erschienen:

 

Windparkbetreiber stehen vor neuen Anforderungen und die Betriebsführer mit ihnen: Aus Verwaltern werden Vermarkter

 

Die Turbulenzen an den Energiemärkten, die auf verschiedene Ursachen zurückgehen, haben weitreichende Auswirkungen auf die Betreiber und Betriebsführer von Windparks. Das hat auch damit zu tun, dass über anderthalb Jahre hohe Erlöse zu erzielen waren, die über manchen Engpass hinweggeholfen haben, oder dass Kosten etwa für Strombezug und Direktvermarktung massiv gestiegen sind. Aber der essenzielle Wandel, der durch solche Ereignisse angestoßen wurde, liegt darin, dass Windparkbetreiber nichts weniger als einen Paradigmenwechsel haben hinnehmen müssen: Sie mussten und müssen sich vom Verwalter von Windparks zu deren Vermarkter weiterentwickeln.

Abgesehen vom Wind …

Windparkbetreiber mussten sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf die Verwaltung ihres Assets konzentrieren. Durch die Festpreisvergütung, die in regelmäßigen Abständen geprüft werden muss, sind Erlöse relativ genau zu prognostizieren. Vollwartungsverträge und andere Absicherungsmaßnahmen führen dazu, dass auch auf der Kostenseite eine relativ hohe Planbarkeit besteht. Das wesentliche, volatile Element im Windparkbetrieb ist nicht die Abnahme und Vergütung der Produktion, sondern die Ressource. Zwar werden Windprognosen, die die Basis der Wirtschaftlichkeitsberechnungen bilden, mit Redundanzen und Puffern versehen. Die unterjährige Verteilung der Einspeisung wird über Indizes abgebildet, sodass auch innerhalb des Geschäftsjahres relativ stabile Erwartungen zu formulieren sind. Dennoch kommt es immer wieder zu deutlichen Abweichungen von der Windprognose, die schmerzhaft sein können. Ein schlechter Februar wie im Jahr 2018 kann das gesamte Windjahr nachhaltig beeinflussen, da etwa gute Sommermonate die Einbußen im Winter nicht wettmachen können.

Unter diesen Voraussetzungen waren Betreiber und Betriebsführer somit schon beschäftigt genug. Durch die Turbulenzen am Energiemarkt ändern sich aber nun die Rahmenbedingungen maßgeblich – was zu neuen Chancen, aber auch zu Risiken führt, mit denen zu rechnen ist. Nebenbei werden die Windparkprojekte damit erstmalig in die Situation versetzt, einer seit Jahren aus der hehren Volkswirtschaftslehre heraus formulierten Anforderung zu

genügen: „Wer Geld verdienen will, muss sich um die Vermarktung seiner Erzeugnisse kümmern oder zumindest andere damit beauftragen“, schrieb etwa der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission, Justus Haucap, in der Frankfurter Allgemeinen (vom 26.6.2017). Und fuhr fort: „Dieses elementare Prinzip der Marktwirtschaft muss endlich auch im Erneuerbare Energiebereich noch stärker Einzug halten.“

Dass Haucap die Problematik ignorierte, dass Windparks bis vor kurzem zwar mit gesicherten Erlösen rechnen, aber sie nie optimieren konnten, während sich die Kosten stetig zu ihrem Nachteil veränderten, lassen wir beiseite. Denn auch wenn die Zeit seit Anfang 2021 sich als turbulent erwies, war sie zugleich auch sehr lehrreich. Und die Lernkurve der Betreiber musste steil sein.

Neue Freiheiten, neue Risiken, neuen Chancen

Eingeleitet wurde sie mit den ersten Windparks, die aus der geregelten Vermarktung fielen und seit dem 1. Januar 2021 auf einmal mit einem Bruchteil ihrer vorherigen Vergütung zurechtkommen mussten. Erstmals mussten Betreiber sich selbst um die Vermarktung des Stroms kümmern. Und sie mussten mit Vergütungen von oft nur 3 bis 3,5 Cent/kWh hinkommen. Denn mehr gaben die sogenannten PPAs (Power Purchase Agreements), die seinerzeit angeboten wurden, nicht her. Eine Direktbelieferung, wie der Name des Produktes besagt, bildeten diese Verträge immer noch nicht ab. Aber das schien erstmal egal, Hauptsache kalkulierbare Erlöse. Vor allem aber mussten sich Betreiber in völlig neue Vermarktungs- und Vertragsformen einarbeiten, die auch formal anspruchsvoll waren.

Dieser Prozess war aufwendig und voller Fallstricke, die bares Geld kosten konnten. Die wichtigste Lehre aus dieser Phase im Markt: Egal wie man sich entscheidet, es ist immer falsch. So überholte die Marktentwicklung seit Mitte 2021 die Festpreisvereinbarungen, die Ende 2020 geschlossen worden waren. Alle Windparks, die also mit Risiko in den Markt gegangen waren oder das als Notlösung akzeptiert hatten, profitierten auf einmal von hohen Spotpreisen und Marktwerten, während die Betreiber, die auf Nummer sicher gegangen waren und sich gekümmert hatten, auf erbärmlichen Erlösen sitzen blieben.

Das Potenzial der neuen Vermarktungsformen

Die massiven Preissteigerungen auf dem Energiemarkt wurden aber zugleich zum Türöffner für neue Vermarktungsformen, für echte PPAs oder andere Festpreisvermarktungen, etwa die sogenannten SWAPs (mit denen eine Art Festpreisvereinbarung geschlossen wird). Windparks oder Betreibergruppen, die zum einen größere Strommengen liefern und zugleich die Ausfallrisiken auspuffern können, sind neuerdings für große Verbraucher interessant geworden. Nach Auslaufen der Gesetzgebung zur Strompreisbremse, die solche Verträge zeitweise unterbunden hatte, sind auch die formalen Hindernisse, solche Verträge abzuschließen, beseitigt. Betreiber können also jederzeit aus der sonstigen Direktvermarktung ausscheren oder – etwa bei Festpreisvereinbarungen – darauf aufsatteln und damit Erlöse optimieren. Die Festpreisverträge waren mithin doppelstöckig: Sie sehen als Basis einen gewöhnlichen, etwa den Marktwert abbildenden Direktvermarktungsvertrag vor, setzen aber eine Festpreisvereinbarung noch darüber, die den Direktvermarktungsvertrag zur Voraussetzung macht.

Naheliegenderweise erfordert der Abschluss solcher Verträge ein deutlich aktiveres Agieren am Markt als bisher. Und das bedeutet eben auch, dass der Vermarktungs-, aber auch der Absicherungsaufwand massiv steigt. Denn PPA-Verträge sind deutlich komplexer als Direktvermarktungsverträge, müssen also rechtlich und pragmatisch geprüft werden. Regelungen, die beispielsweise zu liefernde Mindestmengen definieren, ermöglichen zwar höhere Vergütungen, setzen die Betreiber aber unter Druck, diese Mengen auch zu erreichen. Vereinbarungen, nach denen nur verkauft wird, was produziert wird, führen hingegen zu schlechteren Vergütungen, ebenso wie Regelungen, die auch Phasen negativer Strompreise oder Abschaltungen betreffen.

Kein Zweifel, die Perspektiven sind bei einem Energiemarkt, der auch künftig starken Schwankungen unterliegen wird, – sagen wir – interessant. Die Festpreisvergütungen, die derzeit aufgerufen werden, sind zwar im Vergleich zu 2022 deutlich gesunken. Aber auf der (Groß-)Verbraucherseite ist eine der Lehren aus den vorangegangenen beiden Seiten, dass Versorgungssicherheit einen hohen Wert und seinen Preis hat. Und der kann gerade für Windparkbetreiber über dem anzulegenden Wert liegen und ihnen im Kontext hoher Kostensteigerungen Bewegungsspielraum verschaffen. Für Betreiber und Betriebsführer heißt das also: Es kann sich lohnen, die eigene Rolle neu zu interpretieren – vom Verwalter hin zum Vermarkter.

___

Die vollständige Ausgabe des BWE BetreiberBrief 3/2023 – auch als PDF zum Download – finden Sie hier.